"Von Sträußen und Menschen" oder "Gedanken zur Romantik Teil 1"

In den vergangenen Jahren habe ich mehrere Hochzeiten erlebt und mir die dazugehörigen Heiratsanträge schildern lassen. Dabei sind immer wieder dieselben Motive aufgetaucht: Blumen, Meer, Sonnenuntergang, Schaumwein, Kniefall, Goldschmuck, Tränen, Musik. Und jedes Mal habe ich mitgeheult.

So modern wir uns auch geben – in Sachen Romantik hat sich seit Jahrzehnten nichts getan. Die Romantik scheint ein unbeugsame Bastion des Analogen in einer von Technologie besetzten Welt zu sein. Wie kommt es dazu? Und wo verläuft der Limes zwischen Romantik und Kitsch?

Kulturgeschichtlich gesehen war die Romantik eine Epoche im 19. Jahrhundert, die der in vielen Bereichen des Lebens vorherrschenden Rationalität mit Gefühl, Leidenschaft und Individualität herausgefordert wurde.

Gefühl und Leidenschaft stellen auch heute noch den Kern dessen dar, was wir als „romantisch“ bezeichnen. Der Faktor „Individualität“ hat insofern gelitten, als es einen vordefinierten Symbolekanon gibt, auf den gerne zurück gegriffen wird. So kommt kaum eine Hochzeit ohne Ringtausch, Gedichte und getragene Musik mit einem hohen Anteil an Septakkorden aus. Ich gehe jede Wette, dass die meisten Heiratsanträge zwischen 20 und 22 Uhr gemacht werden (Sonnenuntergang) und wenn es eine Baccara-Rosen-AG gäbe, wären die Aktien sicher begehrt, weil extrem stabil. Doch das Faszinierende an diesen Symbolen ist: Sie wirken. Es scheint als seien unsere Glücks-Rezeptoren eigens für Rosen, Ringe und Rotkäppchensekt sensibilisiert (oder konditioniert?).

Meiner Meinung nach entsteht Romantik durch das Wechselspiel von Vergänglichkeit und Beständigkeit.
Nehmen wir den Sonnenuntergang. Er verkörpert nicht nur die Vergänglichkeit des Tages, sondern demonstriert seine eigene Vergänglichkeit, indem er minütlich die Farbe ändert. Und während orange in rot, rosa und violett übergeht, fühlt sich die Zweisamkeit umso beständiger an: Verstärkung durch Kontrast.

Ein Sonnenuntergang (Vergänglichkeit) am Meer (Vergänglichkeit) mit Blumen (Vergänglichkeit) und einem schönem Essen (Vergänglichkeit) bildet also die perfekte Bühne für einen romantischen Heiratsantrag (Beständigkeit) mit Ringtausch (Beständigkeit).

Erstaunlicherweise hat sich unser Verständnis von Romantik durch die „neuen Medien“ nur wenig verändert.
Vielleicht brauchen unsere Romantik-Rezeptoren noch etwas Zeit, um sich an die neuen Gegebenheiten anzupassen. Vielleicht liegt es auch daran, dass „unsterbliche“ Objekte wie ein Smartphone oder ein Laptop die Vergänglichkeit des Seins nur schwer vermitteln können.

Das, was Romantik ausmacht, ist im Technik-Universum sinnfreies Blabla. Von einem Smartphone zu verlangen, dass es Romantik vermittelt ist so, als erwarte man von einem Menschen, dass er ultraviolette Strahlung wahrnimmt. Es geht nicht. Das ist schlicht nicht im Bauplan des Menschen vorgesehen. Und die moderne Technik arbeitet einfach nicht mit den Kategorien „Leben/Sterben“, sondern mit Dichotomien wie „schnell/langsam“, „korrekt/unkorrekt“ oder „effizient/ineffizient“.

Wie Niklas Luhmann feststellte: „the medium is the message“. Und Smartphone, Laptop und Digitalkamera sind per se unromantisch. Sie werden nicht geboren, sie leben nicht und sie sterben nicht. Statt dessen werden sie produziert, sie funktionieren, sie funktionieren nicht mehr. Dann sind sie aber immer noch da und werden viele Jahren als untoter Elektroschrott die Erde bevölkern. Eine gespenstische Variante von Unsterblichkeit.

Jedenfalls kann man von zutiefst unromantischen Daseinsformen nicht erwarten, dass sie (über den rein intellektuellen Gehalt der Botschaft hinaus!) Romantik vermitteln.
Natürlich können moderne Medien romantische Inhalte transportieren. So wird der Liebesbrief zur E-Mail, das Mixtape zur Youtube-Playlist, die Blume zur animierten Grußkarte. Das funktioniert insofern, als die Botschaft bei ihrem Empfänger ankommt. Aber der emotionale Gehalt von tränenverschmierter Tinte, verwirrten Kassettenbändern oder blutenden Fingerkuppen bleibt unerreichbar.

Vielleicht lässt sich damit auch meine Aversion gegen elektronische Bilderrahmen erklären. Ein altmodisches Foto verändert sich im Laufe der Zeit, es bleicht aus, wellt sich, wird zerkratzt. „Es geht kaputt“, sagen manche Menschen und stellen sich diese grauenvollen Mini-Computer ins Zimmer, auf denen in einem individuell (!) definierbaren Zeitintervall Fotos gezeigt werden. Mir machen diese Dinger Angst. Elektronische Bilder verhalten sich gegenüber traditionellen Fotos wie Vampire zu Menschen. Vampire sind gewissermaßen tot und lebendig. Sie haben ein menschliches Gesicht und könnten doch nicht weiter vom Menschsein entfernt sein, da Vergänglichkeit ein grundlegender Bestandteil des menschlichen Daseins ist. Elektronische Bilder entmenschlichen die auf ihnen abgebildeten Personen, gerade weil sie „unsterblich“ sind.

Romantik lebt von räumlicher Präsenz. Und so groß die Verdienste der modernen Medien sein mögen – oftmals trennen sie mehr als sie verbinden. Wir werden es wohl noch lange mit Sonnenuntergängen und Rosen zu tun haben…

Die Frage „Romantik oder Kitsch“ lässt sich dagegen einfach beantworten: Kitsch ist immer nur das, was die anderen machen. Was auch immer dein Partner tut – es ist romantisch.

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